2. Eine Art Pflichtenheft.

 

Wie schon angedeutet (1), lag der Schwerpunkt bei diesem Projekt nicht auf dem Bau eines repräsentativen Gehäuses, sondern auf dem Erreichen von vorgegebenen Übertragungseigenschaften. Die vorgegebenen Werte betreffen den Frequenzgang, das Signal/Rausch-Verhältnis bei Schallplattenwiedergabe und bei CD-Wiedergabe und schließlich den Klirrfaktor. Mehr oder weniger frei festgelegt werden kann der Gesamt-Verstärkungsfaktor. Diese Reihenfolge entspricht auch der Bedeutung, die den einzelnen Werten zugemessen wurde. Im einzelnen wurde folgendes angestrebt:

Frequenzgang:

CD: +0/-0.1dB von 30 Hz bis 15 kHz

(das entspricht +0/-3 dB von ca. 4 Hz bis ca.120 kHz, sofern diese Grenzfrequenzen durch einen Hoch- bzw. Tiefpass 1. Ordnung erzeugt werden, s.a. (4). )

Phono:  maximal +/-0.2 dB Abweichung vom normierten RIAA-Frequenzgang zwischen 20 Hz und 20 kHz (s.a. (3) ).
(RIAA =
Recording Industry Association of America)


Signal/Rauschabstand:

CD: 80dB unbewertet, bezogen auf 1 Veff am Ausgang bei kurzgeschlossenem Eingang, gemessen mit einer Rauschbandbreite von 20 Hz bis 20 kHz.

Phono: 72dB unbewertet, 78dB A-bewertet jeweils bezogen auf nominelle Vollaussteuerung der Schallplatte bei 1 kHz und Abschluß mit einem MM-Tonabnehmer-System (hierzu s.a. (8) ). Rauschbandbreite wie oben.


Klirrfaktor:

max. 0.1% bei 1 kHz und 1 Veff am Ausgang, überwiegend 2. und 3. Harmonische


Verstärkung:

RIAA-Entzerrer-Verstärker: 35dB bei 1kHz, ausgelegt für die Verwendung des vorhandenen MM-Tonabnehmer-Systems

Line-Verstärker: ca. 10dB


Als Maßstab dienten hier weder die ehrwürdige HiFi-Norm nach (ehemals) DIN 45500 noch die Eigenschaften, die heute notwendig sind, um von Fachmagazinen 5 Ohren oder dergleichen verliehen zu bekommen. Die oben genannten Übertragungseigenschaften wurden, vielleicht etwas willkürlich, aber nicht ohne Begründung, nach den folgenden Überlegungen festgelegt.

Schon Abweichungen vom absolut geradlinigen Frequenzgang in Höhe von nur 0.5 dB, sofern sie über einen etwas breiteren Frequenzbereich von z.B. 1...2 Oktaven hinweg bestehen, scheinen zumindest unter kritischen Bedingungen auch von ungeübten Hörern wahrgenommen zu werden. Sie äußern sich in einer (kleinen) Änderung des allgemeinen Klangeindrucks ( wärmer-kühler, brillianter-weicher, etc). Wer derartige Änderungen im Klangeindruck bewußt hervorrufen will, verwendet zusätzliche Klangregler oder Equalizer. Aufgabe dieses Vorverstärkers sollte es dagegen sein, das angebotene Signal neutral zu übertragen. Abweichungen des (Amplituden-)Frequenzgangs von einem konstanten Wert sollten demnach deutlich kleiner als +/-0.5 dB im hörbaren Bereich sein. Für den Line-Verstärkerteil (s.u. Bild 1.) ist das kein großes Problem, für die RIAA-Entzerrung muß aber ein gewisser Aufwand getrieben werden, um auf Abweichungen von maximal +/-0.2 dB zu kommen. Mehr dazu siehe unter (3) und Fußnote 2-1.


Vor der Festlegung eines Mindest-Signal/Rausch-Abstands für CD-Wiedergabe macht es Sinn, sich ein paar akustische Grunddaten anzusehen.

Nach Messungen, die vor ca. 60 Jahren durchgeführt wurden [1], lag der Geräuschpegel in ruhigen Wohnräumen bei etwa 0 dB bezogen auf die Hörschwelle. Durchschnittliche Wohnräume lagen etwa 10 dB höher. Heute geht man offenbar von Werten aus, die um etwa 20 dB, also um den Faktor 100, höher liegen
(
[2],[3],[4]). Nicht geändert hat sich dagegen der Schallpegel von ca. 90 dB(A), den ein großes Orchester bei Fortissimo (ffff) erzeugt [5]. Bereits Schallpegel von 80 dB(A) können je nach Expositionsdauer zu bleibenden Hörschäden führen [6].


Die Werte von 15...25 dB(A) für 'nächtlich ruhige' Räume und 80...90 dB(A) für Fortissimo bzw. Schädigungsschwelle markieren also in etwa den Bereich, in dem sich häusliche Schallereignisse abspielen, zumindest die häuslichen Schallereignisse, für die dieses Projekt begonnen wurde. Die Erzeugung von Discotheken-üblichen Pegeln (110 dB(A)) in 'nächtlich ruhigen Räumen' wurde nicht in Betracht gezogen.


Damit das vom Lautsprecher abgestrahlte Grundrauschen des Endverstärkers von den Raumgeräuschen überdeckt wird, sollte es etwa 10 dB niedriger liegen als diese. (Die Verhältnisse sind u.a. wegen der starken Frequenzabhängigkeit der Hörschwelle und der Raumgeräusche tatsächlich etwas komplizierter. Für eine erste Annäherung an die Verhältnisse sollte aber die gemachte Annahme ausreichen.) Damit ergibt sich zwischen akustischem Rauschen der Wiedergabeanlage und maximal auftretendem Schallpegel eine Differenz von 70...80 dB. Diese ist in etwa gleichzusetzen mit der erforderlichen Differenz zwischen elektronischem Rauschen und Vollaussteuerung des Endverstärkers. Der Signal/Rauschabstand des Vorverstärkers sollte dann zumindest nicht schlechter sein. Wesentlich bessere Werte bringen aber auch keinen entsprechenden Nutzen mehr.

Die normale mit 16 Bit kodierte CD ist theoretisch in der Lage, einen weitaus größeren Signal/Rauschabstand als 80 dB zu liefern. Das erleichtert dem Tonmeister die Arbeit, dürfte darüber hinaus aber kaum eine Auswirkung auf die häusliche Musik-Wiedergabe haben, auch wenn die oben genannten Signal/Rauschabstände übertroffen werden. Ähnliches gilt für andere mit mehr als 16 Bit kodierte Tonträger und die SACD.

 

Bei der Schallplattenwiedergabe liegen die Verhältnisse etwas anders. Hier wird das maximal erzielbare Signal/Rauschverhältnis in der Praxis vom Medium selbst begrenzt. Das Verhältnis der vom Abtaster abgegebenen Spannung bei Abtastung einer Leerrille und einer Rille mit Vollaussteuerung erreicht kaum jemals einen Wert von deutlich mehr als 60 dB. (Zumindest ist dies so bei allen Platten im Besitz des Verfassers.) Nimmt man an, daß bei besten, fabrikneuen Platten das Leerrillenstörsignal um 66 dB unter der empfohlenen Vollaussteuerung liegt und der Entzerrer-Verstärker diesen Wert nicht deutlich verschlechtern soll, so ist für diesen Verstärker ein Signal/Rauschabstand von etwa 72 dB zu fordern bezogen auf die Ausgangsspannung des Abtasters bei Vollaussteuerung. Eine kleine Vorausrechnung (8) zeigt, daß dies auch mit Röhren möglich ist.

(In der Praxis spielt oft der restliche Netzbrumm am Verstärkerausgang eine größere Rolle als das Rauschen. Netzbrumm ist ein Störsignal mit technischer, Rauschen ein Störsignal mit physikalischer Ursache. Im Gegensatz zum Rauschen läßt sich der Netzbrumm daher im Prinzip immer durch geeignete technische Maßnahmen auf einen unhörbaren Wert reduzieren, wenn auch die betreffenden Maßnahmen zuweilen sehr aufwendig sind. Vergl. auch Abschnitt 6 und Fußnote 6-1)


Der Klirrfaktor ist als Größe zur Charakterisierung eines Verstärkers etwas umstritten, besonders, wenn es um Röhrenverstärker geht. Das dürfte im wesentlichen daran liegen, daß Klirrspannungen sich abgesehen von restlichem Rauschen und Netzbrumm immer aus einer mehr oder weniger großen Zahl von Harmonischen der Meßfrequenz zusammensetzen. Die Meßvorschrift für den Klirrfaktor bewirkt aber, daß seine Größe fast ausschließlich von der Amplitude der stärksten Harmonischen bestimmt wird. Das ist in den meisten Fällen die Harmonische 2. oder 3. Ordnung. Hörbarkeit und Lästigkeit von Harmonischen höherer Ordnung werden durch den Wert des Klirrfaktors daher nicht ausreichend repräsentiert.

Private Erfahrungswerte zeigen, daß ein Klirrfaktor von 0.1% im mittleren Frequenzbereich klanglich nicht stört, sofern die erzeugten Harmonischen ausschließlich von niedriger Ordnung sind, z.B. 2. und 3. Ordnung. Letzteres ist bei Röhrenverstärkerstufen der Fall, sofern diese im Eintakt-Klasse A-Modus bei nicht zu hoher Aussteuerung betrieben werden. Die Größe des Klirrfaktors kann durch geeignete Wahl des Arbeitspunktes noch minimiert werden. An den Enden des hörbaren Frequenzbereiches sind die Anforderungen geringer.

 

Die Schaltungsauslegung schließlich sollte unter dem allgemeinen Gesichtspunkt erfolgen, daß aus der Fülle der möglichen Schaltungen eine solche ausgewählt wird, die die oben angeführten Anforderungen mit der geringsten Anzahl von aktiven und passiven Bauelementen erreicht. Das hat nicht nur praktische Vorteile. Auch die Wiedergabegüte und die Betriebssicherheit profitieren davon. Verstärkerstufen und Bauelemente, die nicht vorhanden sind, können auch keine Störungen verursachen.
Schließlich sollte die Schaltung so ausgelegt sein, daß sich die erreichten Wiedergabeeigenschaften durch Röhrenwechsel nicht oder nur unwesentlich ändern.

 

Ausgegangen wurde von einem Prinzipschaltbild des Vorverstärkers, das keine Besonderheiten aufweist. Wie zu sehen, wurde auf eine Klangregelung verzichtet, ebenso auf eine separate Balanceregelung (s.a. (4) ). Auch ein Ausgang für Bandaufnahme o.ä. wurde nicht vorgesehen, da er nicht benötigt wurde.

Bild 1.  Prinzipschaltung des Vorverstärkers (ein Kanal)

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