Zeitdokument - Ein im KZ Buchenwald gebauter KW-Empfänger
Von einem Besucher meiner Seiten erhielt ich ein sehr interessantes Zeitdokument, - teil sehr
bewegend, teils sehr, sehr zynisch - in Hinsicht auf die Vergangenheit der ehemaligen "DDR".
Es gab für mich kaum ein Überlegen, dieses Dokument komplett und so Originalgetreu wie möglich hier auf meinen
Seiten vorzustellen - und nicht nur den KW-Empfänger, den die Insassen des KZ Buchenwalds unter ständiger,
höchster Lebensgefahr bauten und betrieben. Gerade hin Hinsicht auf die damaligen Ereignisse und nicht mit Blick auf
die späteren Gegebenheiten stelle ich dieses Dokument hier vor, mitsamt den Fotos (Die Schaltzeichnung erstellte ich
anhand des sehr unscharfen und stark gealterten Dokumentes).
Ich veröffentliche diesen Artikel als historisches Zeitdokument, den größten Teil der polemischen Propaganda
habe ich entfernt weil sie sich nicht auf die Entwicklung und den Bau des Empfänger bezieht. Einiges der Polemik ist
noch im Artikel verblieben, das Historikerinteresse sollte hier vorgehen.
1943.
...
Das Abhören der ausländischen Nachrichten und Meldungen der Freiheitssender der verschiedenen Nationen war
organisiert. Der regelmäßige Abhördienst lag in den Händen deutscher und ausländischer Kommunisten.
Die "Abhörer" brauchten eiserne Nerven, strenge Disziplin und großen Mut. Täglich mußten sie
damit rechnen, durch einen verhängnisvollen Zufall entdeckt oder durch einen kriminellen Spitzel denunziert zu werden.
"Schwarzhören" oder "Feindpropaganda" bedeuteten für jeden antifaschistischen Häftling im
Konzentrationslager qualvollen Tod, nicht Exekution allein.
Der Kurzwellenempfänger des ILK (Internationales Lagerkommitee)
Das Elektrikerkommando war wie viele andere Handwerkerkommandos auch während der Aufbauperiode des Lagers ab Sommer 1938
entstanden. Zeitweilig umfaßte es 135 Häftlinge aus verschiedenen Nationen Europas. Als im Jahre 1941 die DAW
(Deutsche-Ausrüstungs-Werke) innerhalb der Lagergrenzen eingerichtet worden waren, wurden viele Häftlinge aus dem
Elektrikerkommando in diesem Rüstungsbetrieb eingesetzt.
Ab Ende 1941 zählte das eigentliche Elektrikerkommando nur noch 13 bis 15 Mann. Zu ihren Aufgaben gehörte die
Wartung der gesamten Kraft- und Lichtstromversorgung, die Betreuung der zwei großen Trafostationen und der
Notstromaggregate, ferner die Versorgung von Wasserpumpen, der Telefon- und Signalanlagen sowie die Bedienung der
Lautsprecherapparatur. Das Arbeitskommando wurde von einem SS-Kommandoführer beaufsichtigt.
...
Der im folgenden beschriebene Kurzwellenempfänger ist das Werk von zwei ehemaligen deutschen Häftlingen,
Angehörigen des Elektrikerkommandos.
Genosse Reinhold Lochmann erhielt von der illegalen Parteiorganisation der KPO den Auftrag, einen regelmäßigen
und sicheren Abhördienst aufzubauen. Täglich hörte er die Auslandssender an den zur Reparatur abgegeben
Radioapparaten der SS ab. Das war eine lebensgefährliche Arbeit, wenn man bedenkt, daß ständig SS-Aufseher
in der Werkstatt erscheinen konnten. Mancher Kniff mußte angewendet werden, um an den Radios eine gerade laufende
Reparatur vorzutäuschen. In der Radio-Werkstatt der DAW-Elektriker mußten geeignete Sicherungsmaßnahmen
installiert werden. So befand sich zum Beispiel unter dem Schreibtisch des Kapos der Elektriker ein versteckter Klingelknopf,
über den der "Abhörer" an der Werkbank rechtzeitig vor der SS gewarnt werden konnte. Außerdem wer
es möglich, durch einen einzigen Hebeldruck die gesamte Stromzuleitung zur Elektrikerbaracke zu unterbrechen.
Die aufgefangenen Meldungen gab Lochmann an ein Leitungsmitglied der illegalen Porteiorgonisation der KPD - in der Regel an
Walter Bartel oder Harry Kühn - weiter. Kein Mitglied der Widerstandsbewegung durfte diese Nachrichten erfahren, ehe
die zentrale Leitung den Zeltpunkt festgelegt hatte. Auch auf diese Weise wurden die Abhörmöglichkeit und andere
illegalen Handlungen geschützt.
Hauptmotiv für den Aufbau des getarnten Kurzwellenempfängers war die Forderung des ILK, das Abhören
ausländischer Sender auch außerhalb der offiziellen Arbeitszeit zu ermöglichen.
Die Zuspitzung der internationalen Lage, Insbesondere der Verlauf des Weltkrieges, veranlaßten die illegale Leitung zu
dieser Maßnahme. Für die Herstellung des Kurzwellenempfängers waren genügend Bauteile vorhanden, die -
sicher verwahrt - außerhalb der Kontrolle der SS lagen. Durch die Rüstungsproduktion im sogenannten
"Mibau" zur Herstellung der Steuergeräte für V2-Waffen konnten jetzt Kleinbauteile (Röhren,
Kondensatoren, Widerstände) durch Täuschung der Aufseher leichter "abgezweigt" werden.
Von vornherein bestand beim Genossen Lochmann die Konzeption, das Gerät so klein wie möglich zu bauen. Er
entschloß sich zu zwei Baugruppen: einmal den Empfänger zur Benutzung für Kopfhörer, zum anderen ein
separates Netzteil, der den Empfängerteil speisen sollte.
Die bisherigen Erfahrungen, die Reinhold Lochmann mit einem einfachen Rückkopplungsaudion erworben hatte, förderten
diesen Gedanken. Außerdem war der Kurzwellenempfang auf dem Ettersberg selbst mit primitiven Antennen möglich.
Ein Stück Draht von 1,5 bis 2 m Länge genügte bereite, um im Barackenkeller einen guten Empfang zu
gewährleisten.
Elektrischer Aufbau und Arbeitsweise
Fehler im Schaltbild, hier die Korrektur: C1 = 20p, C5 = 200n, C7 = 10n, C8 = 50ยต und R6 = 100k.
Zum zweistufigen Empfangsteil gehörte ein separates Netzteil zur Versorgung mit Anodenspannung. Den Empfangsteil stellte
ein einfaches Rückkopplungsoudion mit zwei Glimmerdrehkondensatoren (360 und 180 Picofarad) dar. Daran schloß
sich ein ohmscher Spannungsteiler an der gleichzeitig als Widerstandsverstärker wirkte. Als Röhren wurden zwei
leistungsstarke RV 12 P 2000 benutzt, die zu dieser Zeit in Wehrmachtsgeräten üblich waren beziehungsweise für
das Steuergerät der V 2 verwendet wurden. Um einen guten Schwingeinsatz herbeizuführen, wickelte Genosse Lochmann
die Rückkopplungsspule mit dünnem Draht unmittelbar auf die KW-Gitterspule.
Die Leistungen des Empfängers beim Probelauf waren so gut, daß ohne weiteres ein Lautsprecher hätte
angeschlossen werden können. Es war aber Empfang über Kopfhörer geplant. Der Kopfhörer lag in der
Anodenleitung der ersten Röhre und diente gleichzeitig als Schalter. Mit einem Draht von 1,5 m Länge, der
kapazitiv (10 Picofarad) als Antenne an die Gitterspule angeschlossen war, gab dies einen sehr guten Kurzwellenempfang.
Natürlich war bei dem einfachen Aufbau keine hohe Trennschärfe vorhanden. Je nach den Empfangsverhältnissen
konnte die Trennschärfe mit einem RC-Glied geregelt werden. Stecker stellten die Verbindung zum Netzgerät her.
Im Netzgerät diente ein umgebauter Klingeltrafo zur Heizung der Gleichrichterröhre VY 2. Außerdem waren hier
zwei Kondensatoren zu je 4 Mikrofarad, ein 2-Watt-Widerstand und eine Drossel zur Spannungsstabilisierung eingebaut. Dieses
Netzgerät lieferte 220 V Gleichspannung für die Röhren RV 12 P 2000 im Empfängerteil.
Die Heizung der Empfängerröhren konnte direkt von einem 12-Volt-Akkumulator entnommen werden, da der Empfänger
im Akku-Laderaum versteckt und getarnt worden war. Dort waren ständig genügend Sammler vorhanden.
Die direkte Röhrenheizung hatte den Vorteil, daß die Brummspannungsanteile verschwindend gering waren und die
Empfangsqualität nicht beeinträchtigten.
Die Tarnung des Empfängers baute Herbert Thiele auf.
In einem 6-V-Akku aus dem Laderaum sägte er die Bleiplatten ab so daß ein genügend großer Hohlraum
entstand, um darin den Empfänger zu verstecken. Der obere Planenteil mit der Vergußmasse wurde so sauber
eingepaßt, daß er trotz seines neuen "Inhaltes" von anderen Im Laderaum stehenden Akkumulatoren nicht
zu unterscheiden war. Der Empfänger wurde nie von der SS entdeckt. Er war zur zuverlässigsten Nachrichtenquelle
des ILK geworden.
Organisierung des Empfangs:
Eines Morgens fand man ein Fenster der Elektrikerbaracke in Scherben. Dem verantwortlichen SS-Hauptscharführer meldeten
die Häftlinge einen Einbruch, bei dem unter anderem Radioröhren gestohlen worden seien. Nach diesem
"Einbruch" ordnete die SS-Leitung an, daß der Häftling Herbert Thiele nachts in der Werkstatt zu schlafen
habe, um weitere Einbrüche sofort melden zu können.
Herbert Thiele berichtet selbst:
"Von dieser Nacht an habe ich ständig in der Elektrikerwerkstatt 'geschlafen'. Jetzt richteten wir eine regelrechte
Empfangsstation ein. In den letzten Monaten vor der Befreiung wurde die Elektrikerbaracke durch eingeweihte Genossen des
Lagerschutzes abgeschirmt, die mich im Falle der Gefahr durch Klopfzeichen am Kellerfenster warnten. So habe ich Nacht
für Nacht alle wichtigen Sendungen abgehört, die militärischen Meldungen und Veränderungen des
Frontverlaufs genau verfolgt. Alle wichtigen Reden von Stalin, Roosevelt, Churchill und anderen Staatsmännern sowie von
unseren emigrierten Genossen Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und Erich Weinert hatte ich mitstenographiert. Am nächsten
Morgen gab ich die Meldungen an unsere politische Leitung weiter. Genaue Berichte erhielten ständig die Genossen Walter
Bartel, Harry Kühn, Erich Loch und Walter Jurich. Mehrmals haben Erich Loch, Otto Hörn (Wien) und der tschechische
Genösse Josef Jonos die empfangenen Sendungen direkt mitgehört."
Nicht immer verlief der Nachrichtenempfang ohne Zwischenfälle. Reinhold Lochmann erzählte darüber:
"An einem Sommertag des Jahres 1943 befanden wir uns während der Mittagspause in der Radiowerkstatt. Die
Absicherung war aufgestellt. Wir hörten uns die Musik vom Sender Leipzig an; daneben befand sich ein scheinbar defekter,
ausgebauter Apparat, der auf einen ausländischen Sender eingestellt war. Mit einem Handgriff war die
Außerbetriebnahme möglich. So haben wir oft mit mehreren Häftlingen 'Gemeinschaftsempfang' durchgeführt.
Eines Abends war eine wichtige Sendung des Nationalkomitees 'Freies Deutschland' angekündigt. Diese Sendung wollten wir
unbedingt abhören. Zusammen mit Walter Bartel gingen wir gegen 19:45 Uhr in die Werkstatt; der Schlüssel befand
sich in den Händen des Kapos, der ebenfalls Mitglied unserer Widerstandsbewegung im Lager war. Wir waren mitten im
eifrigsten Zuhören als die Alarmklingel erschallte. Wir hatten gerade noch Zeit, um die Anlage schnellstens abzubauen,
als plötzlich der für das Elektrikerkommando zuständige SS-Sturmführer vor uns stand.
Schnell war ein Essen improvisiert, so daß der Eindruck entstehen mußte, wir verzehrten gerade 'organisierte'
Lebensmittel. Im Werkbankschub befanden sich auch tatsächlich noch Essenreste. Der SS-Führer wurde unsicher.
Trotzdem drohte er mit der Pistole: 'Ich knalle euch sofort nieder, wenn ich euch noch mal erwische!'
Am folgenden Tag nahm die Gestapo eine Untersuchung vor, wobei alle Rundfunkgeräte in der Werkstattals absolut 'defekt'
befunden wurden". Geistesgegenwart und kollektives Handeln aller Beteiligten hatten diesmal über die Tücke
des SS-Aufsehen gesiegt. Die empfangenen Nachrichten hatten große Bedeutung erlangt, als es um die Einbeziehung der
Häftlinge aus fast 20 Nationen in die antifaschistische Kampf- und Einheitsfront ging.
Kein einziger Verrat wegen der Abhörtätigkeit ist im KZ Buchenwald vorgekommen, ein Beweis für
Siegeszuversicht und politische Reife inmitten der schwarzen Häscher.
In den Jahren 1943/45 erstarkte die illegale Militärorganisation zusehends, Waffen wurden beschafft, die Häftlinge
im Umgang mit selbstgefertigten Sprengstoffen ausgebildet und die illegalen Nachrichtenmittel durch eigene Sender und
Empfänger erweitert. Dank dieser planmäßigen Arbeit gelang den eingekerkerten Häftlingen am 11. April
1945 der Sturm durch den elektrischen Drahtzaun und die Vertreibung der SS-Wachmannschaft.
Der hier besprochene Empfänger erstand in den Jahren 1965/67 unter den Händen von Richard Lochmann zu einem
neuen plastischen Bild. Von nun an hat er in der nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald seinen bleibenden Platz
gefunden.
Ein ehrenvolles Stück deutscher Nachrichtentechnik ist mit diesem Empfänger geschrieben worden.
Bildunterschrift: "Die genossen Reinhold Lochmann und Herbert Thiele begutachten den rekonstruierten
Empfänger der sowjetischen Häftlinge"