Cyburgs-Viech
von Berndt Burghard
Beschreibung
Das Cyburgs-Viech ist ein backloaded-Horn mit exponentieller Kontour, das mit einem einzelnen Fullrange-Chassis betrieben
wird.
Der im Viech verwendete Treiber ist der 8AG/N-8Ohm der spanischen Firma BEYMA, ein 20cm Breitbandlautsprecher, der
normalerweise als professioneller Beschallungslautsprecher verwendet wird. Mit seinem Blechpresskorb, seiner Papiermembran
mit integrierter, eingeprägter Sicke und sparsamer Optik kann er diese Herkunft nicht wirklich verleugnen, wenn aber
"form follows function" gutes Design auszeichnet, gibt es kaum einen Breitbänder, der dieses Kriterium besser
erfüllt.
Nett gesagt.... Im Gegensatz zu vielen anderen Billigbreitbändern zeichnet sich der 8AG/N jedoch durch einen
verhältnismäßig gleichmäßigen Frequenzverlauf und einen brauchbaren Hochton aus. Zusammen mit dem
sehr hohen Wirkungsgrad und dem beeindruckenden linearen Hub ist er eine perfekte Wahl für eine wirklich dynamische
Fullrangebox.
Dem 8AG/N werden in manchen audiophilen Kreisen sogar High-End Qualitäten nachgesagt (siehe "Höchst
Empfindlich" von Götz Wilimzig / Rüdy Gysemberg). Ich persönlich würde nicht ganz soweit gehen, es
ist aber sicher ein guter Breitbänder zu einem erstaunlich günstigen Preis.
Noch zwei kleine Anmerkungen:
- Es gibt eine Serie der 8AG/Ns, bei denen die Plus/Minus Beschriftung der Anschlüsse verwechselt wurden. Deshalb
sollte man zur Sicherheit nach der Punktmarkierung direkt am Korb gehen, die den Pluspol anzeigt.
- Der Beyma braucht extrem lange, um sich einzuspielen, im normalen Betrieb mindestens zwei Monate. Ich führe das auf
die sehr steife Papiersicke zurück. Ich habe diesen Einspielvorgang meßtechnisch eindeutig nachvollziehen
können, die obere brauchbare Grenzfrequenz stieg von etwa 9000 Hz am Anfang auf 13000 Hz nach drei Monaten, und dieser
Unterschied ist natürlich auch akustisch eindeutig nachvollziehbar.
Die folgenden Messungen wurden im Raum mit dem DLSA-System gemacht, sie sind auf 1 Watt und 1 Meter kalibriert.
Hier ist die Messung vor dem Einlaufen der Treiber:
Und hier die Messung nach drei Monaten:
Die wichtigsten Parameter des 8AG/N-8Ohm sind folgende (Herstellerangaben):
Fs: 105 Hz
Re: 7,1 Ohm
Qms: 4,13
Qes: 1,6
Qts: 1,15
VAS: 11 l
Xmax +/-: 2mm
RMS: 35W
Sensitivity 96dB/Watt/Meter
Auf der Seite www.beyma.com findet man bei Bedarf eine vollständige
Treiberspezifikation.
Die in der Zeitschrift Klang&Ton 6/2005 veröffentlichen Daten stimmen ziemlich gut mit den Herstellerangaben
überein, was für die Serienkonstanz der Treiber spricht.
Der Beyma 8AG/N ist bei vielen deutschen Hifi-Selbstbauläden lagernd, einige Händler bieten sogar einen
Viech-Bausatz an, in dem Treiber und Zubehör im Set erhältlich sind, zum Beispiel bei
www.frebo.de, www.speaker-online.de,
www.spectrumaudio.de,
www.lautsprecherversand.de und anderen.
In der günstigsten Ausführung kostet ein Paar Viecher gut 100 Euro, man bekommt also, vorsichtig gesagt,
immens viel Lautsprecher ums Geld.
Das Horn
Nach früher gängiger Lehrmeinung ist ein Treiber mit QTS von über 1 für ein Horn völlig ungeeignet,
und die hohe Resonanzfrequenz von guten 100 Hz läßt sicher nicht an einen fullrange-Betrieb ohne zusätzliche
Bassunterstützung denken. Die Erkenntnis, dass es doch funktioniert, ist erst durch so ausgefeilte Simulationsprogramme
wie AJHorn möglich, welches ich auch zur Konstruktion des Viechs verwendet habe. Zwei Voraussetzungen sind notwendig,
damit dieser Kunstgriff klappt:
- Ein im Mittelton ansteigender Frequenzgang des Treibers
- Ein Horn ohne Vorkammer
Kriterium 1 ist eigentlich für jedes backloaded-Horn von Vorteil, da sich sonst der horngeladene Bassbereich
gegenüber dem Hoch/Mittelton zu sehr in den Vordergrund spielt. Kriterium 2 ist speziell für hoch-QTS Treiber
wichtig, da in diesem Fall jedes "beschränkende" Vorkammervolumen die Wiedergabekurve um die Resonanzfrequenz
aufbuckelt. Hörner ohne Vorkammer sind überhaupt sehr resistent gegenüber Änderungen des QTS, sogar ein
Fostex FE206E mit QTS von 0,18 simuliert sich im Viech sehr gut, allerdings kann aus diesem Treiber mit größeren
Hörnern noch einiges mehr an Tiefbass herausgekitzelt werden.
Das Viech ist ein Horn mit exponentieller Kontur, einer Lauflänge von 2 Metern, der Halsquerschnitt beträgt 150
cm2, der Mundquerschnitt 1250 cm2. Dies ermöglicht je nach Raum eine untere Grenzfrequenz von 50-60 Hz.
Der Klang
Im vollen Bewußtsein, dass Klangbeschreibungen immer ein gewisses Maß an Subjektivität beinhalten,
möchte ich nur folgendes sagen:
- Das Viech kann richtig Pegel. Der Wirkungsgrad ist 96 dB/W/m. Der SPLmax kratzt bei Wandaufstellung im Raum an
der 120 dB Marke, und das mit moderaten 35 Watt... Deshalb ist das Viech für den Röhrenbetrieb sicherlich
exzellent geeignet.
- Die untere Grenzfrequenz ist je nach Raum bei 50-60 Hz, also nicht besonders abgrundtief, aber dafür knackig,
präzis, dynamisch und bei höheren Pegeln körperlich spürbar. Dies war auch der Grund für den Namen
Viech, der im hochgeistigen Dialog mit meinem audiophilen Freund Bernhard entstand: "Die drücken an,
bistudeppat!". Ich: "Ja, das sind echte Viecher."
- Die räumliche Abbildung ist breitbändertypisch exzellent, der Klang löst sich völlig von den Boxen.
Die optimale Aufstellung ist im gleichseitigen Dreieck.
- Der Grundton ist warm. Im Mittelton gibts leichte Welligkeiten im Frequenzgang, da er aber insgesamt recht linear
verläuft, kann man damit gut leben. Der Klang ist recht natürlich und sehr direkt.
- Die Hochtonauflösung ist nicht die Stärke des Viechs, eine kleine Überhöhung vor dem Pegelabfall am
oberen Ende hilft aber, eine angenehmen Höheneindruck zu gewährleisten. Grundvoraussetzung für eine gute
Höhenwiedergabe ist aber, dass die Viecher penibel auf den Hörplatz eingedreht werden, denn die 8AG/N bündeln
sehr stark. Diese Bündelung kann sich bei potentiellen Reflexionsproblemen im Hörraum durchaus positiv auswirken,
der Sweetspot ist dadurch aber sehr klein.
- Generell klingen die Viecher interessanterweise besser laut als leise. Ab Zimmerlautstärke verschwindet eine
anfängliche Verschlafenheit, und die Viecher spielen dynamisch und kräftig auf, dass es eine Freude ist.
- Die Viecher sind weder Feingeister noch Schönzeichner, sondern kräftige, dynamische Lautsprecher mit
Live-Charakter.
Das Viech wurde auch in der Zeitschrift Klang&Ton 6/2005 vorgestellt. Darin schrieb Chefredakteur Christian Gather:
[...] Nach dem flugs durchgeführten Aufbau gesellten sich zur tollen Räumlichkeit und der körperlich
spürbaren Wiedergabe von Percussion und Schlagzeug ein wunderbarer Schmelz im Mitteltonbereich. [...]
Die von Zeit zu Zeit im Hörraum auftauchenden Kollegen waren ebenfalls von der Qualität des Viechs angetan,
spätestens nach Bekanntgabe des Preises. [...]
Der Bau
Der Aufbau der Viecher ist für ein Horn sehr einfach und es werden bis auf Stichsäge und Kreissäge mit
Winkeleinstellung keine Spezialwerkzeuge benötigt. Bei der Verleimung helfen ein paar Schraubzwingen mit der Spannweite
von mindestens 30 cm.
Folgende Bauteile sind notwendig (pro Seite):
1x Beyma 8AG/N
1x Kabelterminal
1x Kabel zur Innenverdrahtung
½ Päckchen Dämmwatte
Noppenschaum mit Stärke 2cm (inklusive Noppen) oder Tyrofoam 10
Hier die Stückliste für das Gehäuse. Das Viech sollte in MDF oder Spanplatte gebaut werden, eventuell ist auch
Multiplex verwendbar. In diesem Falle würde ich aber zu zusätzlichen Verstärkungen raten. Die verwendete
Plattenstärke ist 19 mm, alle Angaben in cm.
Stückliste pro Box:
2 x S: 110x50
A: 55x25
B: 44x25
C: 37x25
D: 21x25
E: 53(23°/-23°)x25
F: 106,2x25
2 x G: 50x25
H: 7,5(45°/45°)x25
I: 14(45°/41°)x25
J: 17(45°/45°)x25
Es ist sogar möglich, das Viech ohne Gehrungsschnitte auszuführen, dann ist die Kreissäge überflüssig.
Dafür ersetzt man die entsprechenden Bretter durch folgende Teile und klebt sie ohne Gehrung mit viel Leim ein.
Eventuell können die Stufen dann noch mit Acryl verebnet werden.
Plattenstärke 10mm
E: 53x25
H: 5,5x25
I: 12x25
J: 15x25
Der Ausschnitt (Radius 9 cm) für das Chassis wird aus A ausgeschnitten, sodaß der Lautsprecherausschnitt vom oberen,
vom linken und vom rechten Rand gleichweit entfernt liegt.
B wird einseitig mit Noppenschaum beklebt.
Danach die Abstände laut Plan auf S anzeichnen und die Bretter A, B, C, D, F und zwei G aufleimen. B und C mit viel
Leim oder Acryldichtmasse abdichten.
Die Bretter H, I, J und E am Schluß einpassen und einleimen.
Deckel S aufleimen. Mit einer kleinen Rolle Dämmwatte unter dem Chassis wird der Bass an den Raum angepaßt. - Die
Gabel dient nur als Maßstab, um die ungefähre Größe zu zeigen. Mit verschieden dicken Rollen kann der
Bass an den Raum angepasst werden.
Ein Forumskollege namens doctormase hat für das Viech einen Sperrkreis konstruiert, der optional verwendet werden kann.
Ich persönlich bevorzuge das Viech ohne Sperrkreis, die meisten anderen verwenden ihn aber. Da der Sperrkreis sehr
moderat wirkt, ist die Verwendung im Gegensatz zu anderen Breitbandkonstruktionen hier wirklich Geschmackssache.
R: 2,2 Ohm
C: 8,2 µF
L: 0,33 mH
Diese Bauteile werden einfach parallel verschaltet und dieses Paket dann in die Plusleitung seriell zum Chassis
eingelötet.
Nachbemerkungen
Die Präsentation des Viechs und des zugehörigen Bauplans im Forum
www.hifi-forum.de Anfang 2005 erfreute sich einer mich völlig überraschenden positiven Resonanz. Besonders
junge Boxenbauer freuten sich über einen großen, pegelfesten und für das Gebotene extrem günstigen
Bauvorschlag, den man ohne weiteres auch einmal als Partylautsprecher mißbrauchen kann, der keine besondere baulichen
Ansprüche stellt und das Studenten- oder Schülerbudget nicht übermäßig belastet.
Die Anzahl der Viecher, die bis jetzt gebaut wurden, ist schwer abzuschätzen. Offiziell weiss ich von etwa 150
Paaren, über die "Dunkelziffer" kann man nur spekulieren. Zwei Mal gab es wegen des Viechs Lieferschwierigkeiten
für den 8AG/N in Deutschland. Die meisten Viecher wurden natürlich in Deutschland gebaut, aber auch in anderen
Ländern Europas gibt es einige. Ein Paar steht in Amerika und es gibt sogar eines in Australien.
(Kaufangebote (Lizenzen) lehnte ich ab, das Viech soll für alle gleichermaßen da sein.)
Vier Monate nach der Vorstellung des Viechs im Hifi-Forum, als ich mit Udo Wohlgemuth auf der Hifi-Selbstbaumesse in
Gelsenkirchen sprach und dieser Forumeintrag schon 3000 Antworten hatte, sagte er mir, dass dies seines Wissens der
längste Thread in einem deutschen Hifi-Selbstbauforum sei, den es bis dahin überhaupt gegeben hatte. Dies nahmen
er und der leider viel zu früh verstorbene Chefredakteur der Zeitschrift Klang&Ton, Heinz Schmitt, zum Anlaß,
das Viech als Bauvorschlag in der Klang&Ton 6/05 vorzustellen.
Zur Zeit, als der vorliegende Artikel geschrieben wurde, hatte der Thread im Hifi-Forum bereits über 6100 Antworten,
und die Tendenz ist immer noch steigend.
Das Wertvolle an dieser Internet-Diskussion ist, abgesehen vom sehr unterhaltsamen Austausch von Tips und Erfahrungen aber,
dass viele Viechbauer Modifikationen ausprobierten, vor allem bezüglich Dämpfung und Versteifung, wobei erfolgreiche
Versuche immer wieder in den Basisplan eingeflossen sind. Es gab also eine stetige Weiterentwicklung.
Die kollektiven Erfahrungen wurden vom Forumskollegen Herbert in einem PDF-Dokument gesammelt.
Gutes Gelingen und viel Hörspaß,
schöne Grüße,
Berndt