Das NEGATRON von John Scott-Taggart
von Wolfgang Holtmann



Der Brite John Scott-Taggart hatte 1919 eine Triode mit einer zusätzlichen Anode erfunden, die durch eine "fallende Kennlinie" in der Lage ist, Schwingungen zu erzeugen. Damit wollte er die bereits bestehenden Patente von Lee de Forest, Meißner, Armstrong und Huth-Kühn umgehen. In Abwartung der Patenterteilung verzögerte er die Veröffentlichung der Einzelheiten bis 1921.


Die ganze Sache war allerdings eine, röhrenhistorisch gesehen, Eintagsfliege. Darum findet man diesen Röhrentyp heutzutage nur bei wenigen Sammlern in der Vitrine. Udo Radtke hat ein Foto davon auf seiner Homepage. Dieses Exemplar wurde etwa im Jahr 1923 von Mullard hergestellt und von der Firma "Radio Communication Co." (RCC) unter dem Markennamen "Polar" vertrieben. Bei Tyne wird noch eine ähnliche Röhre -Japanischen Ursprungs- mit Typenbezeichnung TWW erwähnt.


Eine kleine persönliche Vorgeschichte, oder, wie es dazu kam.
Beim letzten Stammtisch in Mühlheim (organisiert vom Betreiber der Röhrenbude, Jochen Gittel) erfuhr ich, Michael Pape ist in der Lage, Röhren anzufertigen!


Sofort kam ein bei mir ein schon lang gehegter Wunsch nach oben: Experimente mit einem NEGATRON durchführen zu können. Spontan fragte ich:
"Lieber Michael, sei so nett, kannst Du mir solch eine sonderbare Röhre bauen?"
Das Foto der originalen Röhre war für mich ein Anhaltspunkt, um eine Konstruktionszeichnung für ihn anzufertigen.
Nach dieser Vorlage entstand der unten abgebildete Nachbau. Michael hat die technischen Möglichkeiten und Kenntnisse, Elektronenröhren mit hohem Vakuum (5x 10 -7 torr) herzustellen.




Diese Nischen in der Radio- und Röhrentechnik haben mich schon immer sehr interessiert. Was ist denn so interessant an diesem Ding? Bei Barkhausen und Kammerloher ist übrigens zu dieser Röhrenvariante nichts zu finden. Michael Pape ist es gelungen, einen funktionsfähigen Nachbau herzustellen. An dieser Stelle meinen herzlichen Dank dafür!



Funktionsbeschreibung
Eigentlich ist der Aufbau der Elektroden recht einfach gehalten. Wir sehen rechts vom vertikal angeordneten Heizfaden (Wolfram) eine Triode mit U-förmigen Gitter und der Anode 1. Links vom Heizfaden ist eine weitere Anode 2 eingebaut.


Legen wir an beide Anoden eine pos. Spannung, wandern die Elektronen sowohl zur rechten, als auch zur linken Anode. Ist jedoch das Gitter positiv gegenüber dem Heizfaden vorgespannt, wird die Mehrheit der Elektronen aus der Raumladungswolke um den Heizfaden sich Richtung A1 bewegen. Damit verringert sich automatisch der Anodenstromanteil zur linken Anode 2!

Umgekehrt, machen wir das Gitter negativ, geht der Anodenstrom nach A1 logischerweise zurück. Die meisten Elektronen suchen nun ihren Weg zur Anode 2. Man hat es also mit einer "Stromverteilungssteuerung" mit Hilfe des Gitters zu tun. Obwohl zwischen dem Faden und A2 kein Gitter vorhanden ist, ist eine Beeinflussung des Ia2 -wie beschrieben- möglich!

Die Besonderheit dieser Erfindung (oder vielleicht Entdeckung) ist: Ia2 ist in einem bestimmten Bereich gegenläufig zu Ia1! Man spricht von einer "fallenden Ia2 Kennlinie".
Anmerkungen:
Mit Absicht verzichte ich hier auf den Begriff "negativer Widerstand" (daher der Name: NEGA-TRON), der dem einen oder anderen wenig aussagt. Obige Erläuterung ist meiner Meinung nach viel anschaulicher und detaillierter!

Die untenstehenden Zeichnungen dienen nur zur Verdeutlichung des Prinzips und sind stark vereinfacht. Auch wird keine Rücksicht auf das Spannungsgefälle entlang des Heizfadens genommen.



Bei einer Triode tritt bekanntlich eine Phasendrehung der Anodenspannung von 180░ gegenüber der Gitterspannung auf (mit einem Ra und Bezugspunkt die Katode). Das ist beim NEGATRON für A1 ebenso gültig. Für A2 sind die Verhältnisse -wie erläutert- umgekehrt, d.h. Gitterspannung und die (verstärkte) Anodenspannung sind in Phase!!

Diesen Umstand hat John Scott-Taggart in seiner Erfindung ausgenutzt und eine Oszillatorschaltung nach Meißner (= induktive Rückkopplung von der Anode zur Gitterspule) so angepasst, dass die getrennte -und entgegengesetzt gepolte- Rückkopplungsspule zur Aufhebung der sonst üblichen Phasendrehung, wegfallen kann. Man kann nun A2 einfach direkt mit der Gitterspule verbinden!
Natürlich braucht A2 eine Anodenspannung, daher ist Spule L mit + Ub verbunden. Der Gitterkondensator lässt diese nicht ans Gitter gelangen. Anode 1 hat nur eine Hilfsfunktion und liegt wechselspannungsmäßig auf 0 Volt Potential.


Kennlinien des Nachbaus


Ich erwähnte bereits, die Abmessungen der Elektroden und deren Abstände untereinander, sind rein nach Augenmaß geschätzt! Ich denke, das erklärt den großen Unterschied in den Anodenströmen. Hätte ich A2 von der Oberfläche nur halb so groß anfertigen lassen, wäre Ia2 dem Ia1 mehr angenähert. Hier eine Vorstellung, die in der Literatur manchmal zu finden ist:


So nebenbei:
Es fällt auf, dass das besprochene NEGATRON von der Funktion her der 1923 von Numans und Roosenstein entwickelten NEGADYN-Schaltung sehr ähnlich ist. Mehr darüber hier. http://www.jogis-roehrenbude.de/Radiobasteln/Negadyne/Negadyne.htm
Man braucht sich nur das positiv vorgespannte Raumladegitter als A2 vorstellen. Denn auch bei einer Raumladegitterröhre zeigt das heizfadennahe Gitter eine "fallende Kennlinie"! Vorteil dabei ist, dass dieses noch zusätzlich die Elektronen Richtung Anode vorbeschleunigt. So ist schon eine Anodenspannung von etwa 6 bis 20 Volt ausreichend.

Dann habe ich noch per Zufall entdeckt, dass schon einige Jahre vor Scott-Taggarts Erfindung, Irving Langmuir in den USA eine Röhre mit der gleichen Elektrodenanordnung experimentell angefertigt hatte.


Auch hier zwei getrennte Anoden und das Steuergitter nur auf einer Seite eingefügt. Allerdings hatte Langmuir an eine ganz andere Anwendung dabei gedacht. Ihm sind die Möglichkeiten einer Schwingungserzeugung zu jener Zeit nicht in den Sinn gekommen, nehme ich an.

Versuche mit dem NEGATRON (Replika)
Lassen wir die Theorie mal eben ruhen und uns auf die Vor- und Nachteile der NEGATRON-Schaltung durch Experimente konzentrieren.
Weiter oben ist die Versuchsschaltung zu sehen, welche ich auf einem Holzbrett aufgebaut habe. Es ging mir nur um die Oszillatorfunktion. Der große Vorteil, es ist nur eine Induktivität ľohne Anzapfung- erforderlich, sowie der passende Parallelkondensator dazu. Erstaunlich ist die Schwingfreudigkeit der Schaltung bei gleichzeitiger relativen Reinheit der Sinusschwingung! Und das über einen sehr großen Frequenzbereich!
Ausnahme machte der Netztrafo (Primärwicklung 25 H) mit seinem Eisenkern. Der Gitterkondensator (300pF) blieb immer derselbe. Ja, selbst mit einem 100k Widerstand konnte ich Schwingungen anfachen.










Aber auch ein Nachteil soll nicht verschwiegen werden: Die Aufrechterhaltung der Schwingungen ist sehr stark abhängig von der Heizfadenspannung, weniger von der Anodenspannung! Die Charakteristika der Kennlinien verschieben sich schon bei kleinen Änderungen. So war bei meinen Versuchen die Heizspannung im Bereich von 3,3 bis 3,6 Volt zu halten. Oberhalb und unterhalb reißen die Schwingungen ab! Diesen Effekt konnte ich bereits bei der NEGADYN-Schaltung feststellen.

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