Das Phantom der Röhren

Ein Röhrenverstärker-Projekt von Dirk Seelos

Es war mal wieder an der Zeit, für ein völlig neues Röhrenverstärker-Projekt. Inspiriert durch das Achtzylinder-Projekt von Michael Kaim, „keimte“ in mir die Idee auch einen Parallel Single Ended (PSE) Verstärker im Ultralinear-Betrieb zu entwickeln. Allerdings mit weniger Leistung, dafür aber mit mehr Technik „Gedöns“.

Da ich einige Grundig Fine Arts Gehäuse, ohne die seitlichen Holzwangen, bekommen konnte und finde, dass diese Gehäuse für den Bau von Röhrenverstärkern bestens geeignet sind, sollte der neue Verstärker auch in solch einem Gehäuse realisiert werden.

Anders als beim Frankenstein-Verstärker, wollte ich nur ein kleiner Teil der original Fine Arts Blende erhalten. Das sind neben dem Netzschalter, die ehemaligen Sender-Speichertasten, welche auch diesmal zum Eingangs-VU-Meter umgebaut wurden. Alles Sichtbare sollte dieses Mal eine Funktion haben.

Nach einigen Entwürfen und kreativen Diskussionen mit meiner Tochter, entschied ich mich für die teilweise Maskierung der Frontblende.

In Anlehnung an die Maske des Phantoms, im Musical „Das Phantom der Oper“, wurde die Frontblende in weißer Pulverbeschichtung bestellt.

Entworfen habe ich die Frontblende mit dem Frontplatten-Designer der Schaeffler AG. Dort ließ ich dann auch die „Maske des Phantoms“ herstellen.

Der neue Verstärker sollte über eine Infrarot-Fernbedienung steuerbar sein, daher spendierte ich ihm ein Motorgesteuertes Lautstärke-Poti von ALPS. Zusätzlich wollte ich diesmal auch Magische Fächer in das Konzept mit einbeziehen, was für mich komplettes Neuland war.

Jede Endstufenröhre erhielt eine eigene Digital-Anzeige, für die Überwachung des Anodenstroms.

Strikte analog Puristen, mögen mir verzeihen, aber ich bin ein Hifi-Kind der 80er Jahre und liebe LED-Anzeigen! Daher steckt in diesem Verstärker auch wieder eine gute Portion „Mad-Max“- Design. 😉

Beim „Phantom“ Verstärker wurde die ECC88 (E88CC) als Vorstufen/Treiber-Röhre verwendet. Die ECC88 ist zwar eine Hochfrequenz-Röhre, eignet sich aber hervorragend für den Audio-Bereich und ich finde sie klingt einfach genial!

Vor dem ersten Ton war einiges an „Gehirnschmalz“ notwendig, denn vor den Erfolg haben die Götter die Theorie, Mathematik und Praxis gesetzt!

Theorie, Mathematik und Praxis

Anodenströme

Die Anodenströme wurden pro Endpentode auf 46mA eingestellt, bei ca. 255V Anodenspannung. Das entspricht einer Anodenverlustleistung von ca. 12Watt pro Endstufen-Röhre. Die Voltanzeigen zeigen 0,46Volt an, welche an den 10 Ohm Kathodenwiderständen gemessen werden.

Der Verstärker ist also nicht auf maximale Leistung getrimmt, da die max. Anodenverlustleistung der EL12N bei 18Watt liegen würde.

Die 92mA pro Ausgangsübertrager (Typ BTB SM20) gehen somit absolut in Ordnung, denn die Übertrager könnten auch max. 120mA Anodenstrom vertragen. Pro Endpentode könnte man die Anodenströme auch noch um 3mA, auf max. 49mA im Dauerbetrieb erhöhen, dann stößt aber der Ringkerntrafo an seine Grenzen. Ich habe die Anodenströme so abgeglichen, dass sich ca. 10-15 Minuten nach dem Einschalten, 49mA an jeder Endstufenröhre einstellen. Im Laufe von ca. 2 Stunden Betrieb, sinken die Anodenströme dann allmählich auf 46mA ab und bleiben dann konstant auf diesem Wert. Dank der 4 Voltanzeigen kann man das sehr gut beobachten.

Die Ausgangsübertrager erwärmen sich auf max. 50°C.

Trafo(s)/Netzteil(e)

In der Praxis ist der Ringkern-Netztrafo (Typ BTB 2249917) am sekundären ~200V-Abgriff, bei einem höheren DC Anodenstrom als 230mA, bereits in seinen Grenzbereich.

(Summe der Anodenströme: DC Ia Gesamt = 4*46mA Endstufe + 2*14mA Vorstufe + 6mA Entladewiderstand + 2mA Magische Fächer = 220mA)

Der ~AC Anodenstrom, welchen der Trafo bereitstellen muss, liegt in diesem Fall so um die 300mA. Theoretisch könnte der Trafo zwar 350mA bereitstellen, aber da er eine Toleranz von +/- 10% aufweist, sollte man besser nur von max. 315mA ausgehen.

Bei der Bemessung des Netztrafos habe ich darauf geachtet, dass die max. benötigte DC-Leistung gleich der max. AC-Leistung des Trafos, minus 10% ist. Formel für die Berechnung: DC P=U*I = (AC P=U*I)*0,9

Mann muss also unbedingt die Spannungserhöhung, welche mit der Gleichrichtung einher geht, in die Berechnung mit einbeziehen. Somit fällt der max. DC-Strom immer niedriger aus, als der maximale AC-Strom, welchen der Trafo liefern kann! Eine großzügige Netztrafo-Dimensionierung wirkt sich sehr positiv, auf den akustischen Restbrumm und die Erwärmung des Trafos, aus.

Der Netztrafo wird im Dauerbetrieb ca. 55°C warm, bei 21°C Raumtemperatur. Primär habe ich das Gerät mit einer trägen Feinsicherung abgesichert.

(Faustformel für die Berechnung: VA/230V*Faktor(1,5 oder 2), also Ringkerntrafo 154VA/230V*1,5 + Hilfstrafo 16VA/230V*1,5 = 1,14A)

Die nächst größere Sicherung aus der Normreihe war 1,2A, das hat sich in der Praxis auch als ausreichend erwiesen.

Bei Ringkerntransformatoren könnte man anstatt Faktor 1,5 auch mit Faktor 2 rechnen, das ist abhängig vom verwendeten Trafo-Typ. Ich versuche immer so niedrig wie möglich abzusichern, so reagiert die Feinsicherung im Fehlerfall schneller.

Einschaltverzögerung für den Anodenstrom

Die Einschaltverzögerung wurde mit einem NE555 Timer-IC realisiert.

Während der Aufwärmphase der Röhren wird die Vorstufenröhre von unten, mit einer Zweifarben-LED, rot angeleuchtet.

Nach dem Einschalten der Anodenspannung leuchtet die LED grün.

Zuerst hatte ich die DC-Spannung über das Relais geschaltet. Leider hörte man im Einschaltmoment ein lautes Knacken in den Lautsprechern. Daher habe ich das Netzteil nochmal umgebaut und nun wird die Wechselspannung geschaltet. Durch die kurze Verzögerung, bis sich die Anodenspannung aufgebaut hat, gibt es kein Knackgeräusch mehr.

Die Aufwärmphase habe ich auf ca. 80 Sekunden festgelegt, damit die Röhren auch gut geheizt sind, bevor die Anodenspannung zugeschaltet wird.

Der 47K-Ohm/ 5Watt Widerstand dient zum raschen Abbauen der Anodenspannung, nach dem Ausschalten.

Beide Maßnahmen sollten die Lebensdauer der Röhren erhöhen.

Netzteil für negative Gitter Spannung (-UG)

Das -UG Netzteil wurde am Trägerblech befestigt. Auf der Netzteilplatine wurden auch die 4 Spindelpotentiometer, für die Einstellung des Arbeitspunktes der Endröhren, montiert. Daher war es naheliegend diese Potis in der Nähe der 4 Voltanzeigen zu positionieren.

Neben jedem Voltmeter schaut der Messing Einstell-Kopf eines Potis, aus dem Gehäuse heraus und so kann man den Anodenstrom später bequem justieren, ohne das Gerät öffnen zu müssen.

Die drei 150µF Kondensatoren sind mit 400V völlig überdimensioniert, aber der Durchmesser passt perfekt, um als zweite Stütze für die Platine zu dienen. Damit die Kondensatoren später nicht vibrieren wurde etwas Butyl-Tape darunter angebracht.

Technik „Gedöns“

LED-VU-Meter

Das Input-VU-Meter wurde per Sinus-Signal so abgeglichen, dass bei einem RMS-Pegel von 775mV alle grünen LEDs aufleuchten. Die gelben und roten LEDs würden nur bei einem höheren Eingangspegel in Erscheinung treten.

Ein VU-Meter, welches den Eingangspegel anzeigt, erachte ich als sehr sinnvoll, da unterschiedliche Line-Zuspieler meist auch unterschiedlich hohe Signalpegel liefern. Außerdem sind Audioaufnahmen oft unterschiedlich laut aufgenommen und mit einem Input-VU-Meter kann man den Eingangspegel, über einen Vorverstärker oder Line-Selector, perfekt an den Verstärker anpassen.

Die Power/Standby-Anzeige

Die Power-LED zeigt über drei verschiedene Leuchtzustände den Betriebsstatus an.

Alle Funktionen genau zu beschreiben würde den Umfang dieses Artikels sprengen, aber auf Low Budget High End www.lbhe.de sind alle Funktionen ausführlich beschrieben.

Hier mal ein Blockschaltbild aus dem die verschiedenen Funktionen hervorgehen.

Für die Entwicklung und den Bau habe ich ca. 6 Monate benötigt. Manchmal war es eine ziemliche Frickelei und ich war mir nicht sicher, ob ich das alles wirklich in einem Gehäuse unterbringen kann. Es geht zwar eng zu, doch alles hat seinen Platz gefunden.

Der erste Höreindruck vom Phantom hat mich total begeistert! 🙂 Er kommt prima mit dem Canton Plus C Subwoofer zurecht, welcher einen Wirkungsgrad von 87,7dB hat und auch mit den Satelliten Canton GLE 20 (86,5dB) geht er spielerisch leicht um.

Die Höhen klingen etwas betonter und nicht so weich wie bei einem reinen Trioden-Verstärker, der Mitteltonbereich ist sehr räumlich und detailliert. Der Bass macht ordentlich Druck und klingt kernig/ kontrolliert, aber nicht aufdringlich.

Für die Messtechnik-Freunde, hier noch Bilder vom Rechteck-Signal-Test, mit Hochlastwiderständen von 4,7 Ohm an den Ausgangsübertragern.

Ich habe mir bewusst, genaue Beschreibungen zum Ultralinearbetrieb und der parallel Schaltung von Röhren verkniffen. Hierzu wurde, von Friedrich Hunold, bereits alles sehr ausführlich beschrieben und mit Bildern dokumentiert. Daher liste ich hier lieber die entsprechenden Links auf.

Alle notwendigen Infos findet man in diesen Artikeln:

Dieser Bericht ist zwar schon recht umfangreich, aber wer an noch mehr Details interessiert ist, der kann die komplette Bau-Dokumentation auf Low Budget High End www.lbhe.definden. Teilweise enthält diese Dokumentation auch Beispiel-Videos. Dort berichte ich u.a. von den mechanischen Arbeiten, den Plexiglas-Wangen, der Frontblendenumsetzung, den Magischen Fächern usw., usw.…

Dirk Seelos

Hinweise:

Verwendete Marken, Bilder, Firmen oder Produktnamen dienen nur der Beschreibung bzw. Veranschaulichung. Die Rechte liegen bei den Urhebern.

Aufbau, Reparatur und Prüfung von Elektrischen Schaltungen

Der Verfasser weist ausdrücklich darauf hin, dass der hier vorgestellte Selbstbau keinesfalls zur Nachahmung empfohlen ist, da teilweise mit hohen Spannungen und Strömen gearbeitet wird! Mangelnde Sachkenntnis kann für Laien lebensgefährlich sein, daher sollten technische Geräte nur von Fachleuten aufgebaut, repariert oder geprüft werden, welche über die notwendigen Sachkenntnisse und Qualifikationen verfügen. Daher weise ich ausdrücklich darauf hin, dass keine Haftung für Schäden irgendwelcher Art, an Dingen oder Personen übernommen wird!

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