Von Burkhard habe ich eine Hand voll russische 6Sh1P bekommen und den Auftrag, auszuprobieren, wie sich die Röhre in NF-Schaltungen bewährt. Die niedliche
Röhre - der Glaskolben misst ganze 18 mm im Durchmesser und 35 mm Länge - beinhaltet ein Pentoden-System und hat
einen Miniatursockel mit sieben Pins.
Die russische Röhre entspricht der europäischen Hochfrequenzpentode EF95 und
Burkhard berichtet, dass der Original-Typ, die 5654,
"für Luft- und Raumfahrt ohne Rücksicht auf die Kosten gefertigt" wurde.
Die EF95 ist auch eine sehr gute NF-Röhre und wurde u.a. in Telefunken-Equipment für Rundfunkstudios eingesetzt.
Die selbe Röhre wurde von andern Firmen als 6AK5W und M8100 gebaut.
Weitere Versuche mit der EF95 findet man bei Elexs.
Bei BTB u.a. kann man die kleine Röhre auch beziehen.
Sehr gut informiert auch das Datenblatt von DuncanAmps.
Es handelt sich um ein steiles Pentodensystem, dass ursprünglich für Breitband- und Hochfrequenzverstärker
entwickelt wurde. Das Datenblatt weist allerdings ausdrücklich auch auf den Einsatz in Audioschaltungen und als
Kathodenfolger hin.
Die 5654 und ihre Abkömmlinge sind Qualitätsröhren für den Einsatz in kritischen Industrie- und
Militäranwendungen, für die hohe Stabilitätsanforderungen gelten. Dazu ist das Röhreninnenleben
mechanisch besonders robust aufgebaut und hat eine stabile Heizungs-Kathoden-Konstruktion.
Meine eigenen Versuche haben insbesondere ergeben, dass die Röhre erstaunlich wenig zu Mikrofonie neigt. Sie wird mit
6.3 Volt beheizt und zieht 175 mA Heizstrom. Die Anodenspannung darf 200 Volt nicht übersteigen; empfohlen wird der
Betrieb mit 120 Volt an der Anode. Der Anodenwiderstand liegt bei rund 340 kOhm, die Steilheit bei 5000 Mikromhos, als
Anodenstrom sind immerhin 7.5 Milliampere zulässig.
Ich habe zuerst einmal ein rudimentäres Verstärkermodul auf einer kleinen Platine entworfen, um die
Röhre im Betrieb testen zu können.
Die Platine habe ich mit dem ABACOM-Programm Sprint Layout 3.0 erzeugt. Das
Layout steht (etwas weiter unten) zum Download bereit.
Sprint Layout ist ein einfaches Platinen-Layoutprogramm, mit dem sich ein- und doppelseitige Leiterplatten entwerfen lassen,
ohne dass unnötiger Ballast den Durchblick erschwert. Sprint Layout stellt alle notwendigen Funktionen für den
Platinenentwurf am PC zur Verfügung. Die Bedienung kann in wenigen Minuten erlernt werden! Inzwischen wird das Programm in
Version 4.0 ausgeliefert, die noch eine Reihe Verbesserungen integriert, um das Arbeiten mit Sprint-Layout noch komfortabler
zu gestalten.
Mit dem kostenlosen Viewer ist es möglich, Sprint-Layout Dateien zu betrachten und
auszudrucken, auch wenn man das Programm nicht hat. Der Viewer ist ein kostenloses Programm.
In Schaltung 1 wird der Betrieb als Pentode gezeigt.
Mit einem Kathodenwiderstand R5 von 680 Ohm wird eine Kathodenspannung von rund 1.4 Volt eingestellt - das ergibt einen eher
sparsamen Anodenstrom von rund 2.1 mA, völlig ausreichend für die meisten Audioanwendungen. Gitter 2 wird mit R2
ungefähr auf Betriebsspannungspotential gelegt. Als Betriebsspannung habe ich 180 Volt gewählt, so dass
auch ohne Strom durch die Röhre keine unzulässig hohe Spannung an der Anode liegen kann. Der Anodenwiderstand hat
wegen der niedrigen Betriebsspannung nur 39 kOhm. Die Anodenspannung stellt sich damit im Betrieb auf rund 100 Volt ein,
also nah bei den empfohlenen 120 Volt.
Der Gitterstopper R3 ist ziemlich unkritisch; man kann auch 2.2 oder 3.3 kOhm nehmen.
Der Rest der Schaltung dient wie üblich zur Gleichspannungentkopplung; bei den Elkos und Kondensatoren kommt es auf
ausreichende Spannungsfestigkeit an.
Das Testmodul habe ich auf einer 80 mal 80 Millimeter großen Platine aufgebaut. Zur Versorgung braucht man ein kleines
Netzteil, das rund 250 V Betriebsspannung und 6.3 Volt Heizspannung liefert. Ich heize mit Gleichspannung, die mit einem
LM317-Standardspannungsregulierer konstant gehalten wird. Das IC braucht einen Kühlkörper.
Auf der Platine kann die Röhre für den Pentoden- und alternativ für den Trioden-Betrieb beschaltet werden.
Im Pentoden-Betrieb nach Schaltung 1 messe ich eine Verstärkung von rund 28 dB.
In Schaltung 2 ist das Modul für den Triodenbetrieb abgewandelt. Dazu wird Gitter 2 über einen
kleinen Widerstand mit der Anode verbunden. Ansonsten habe ich die Schaltung unverändert gelassen. - Funktioniert ohne
Probleme.
In Foto 2 ist gut zu erkennen, wie die verschiedenen Betriebs- und Signalspannungen zugeführt werden.
Nach Abschluß der ersten Testphase habe ich die Platine zur Sicherheit auf ein kleines Brettchen geschraubt - man
muss einen auf 250 V aufgeladenen Elko nicht unbedingt anfassen ...
Das Diagramm zeigt das gemessene Klirrspektrum bei einer typischen Signalspannung von 1 Vrms. Der Klirrfaktor ist mit
rund 0.2 Prozent erfreulich niedrig; im Spektrum dominiert K2 mit -55 dB. Darüber hinaus ist nur noch K3 mit mehr als
80 dB bereits jenseits von Guit und Böse.
Was macht man nun mit den Modulen? Sohn Lukas braucht gerade einen neuen Gitarrenverstärker> zum üben, und da lag
es natürlich nahe, auszuprobieren, was man da mit den EF95 machen kann. Um einen teuren Ausgangsübertrager zu
sparen, sollte es wieder eine Hybridlösung werden, ein Stromverstärkermodul mit MOSFETs hatte ich auch noch.
Foto 3 zeigt die fertig aufgebaute und betriebsbereite Verstärkerplatine, die an eine Ausgangsstufe angeschlossen
werden kann, mit der man aber natürlich auch eine Röhren-Ausgangsstufe betreiben könnte. Spasseshalber
höre ich, während ich dieses schreibe, alte Blue-Note-Scheiben von einem tragbaren CD-Player darüber, was gar
nicht schlecht klingt - wenn auch der Big-Muff-Klangregler natürlich alles andere als Hifi-tauglich ist.
Damit nicht noch eine weitere Platine anfällt, sollte es eine kompakte Lösung werden, bei der die Verstärkung
so hoch und der Ausgangswiderstand so niedrig ist, um den Stromverstärker direkt ansteuern zu können. Dazu ist zu
den zwei Vorstufenröhren, die die Vorverstärkung übernehmen und um die herum Gain-, Volumen- und
Klangeinstellung angeordnet sind, auch noch eine Kaskadenstufe mit einer 6N3P-Doppeltriode auf die Platine
gekommen. Die entsprechende Schaltung habe ich schon bei meiner Hybrid-Endstufe
beschrieben.
Im Schaltbild 3 ist leicht zu erkennen, das ich das Triodenmodul mit der EF95 / 6Sh1P zweimal eingesetzt habe. Die
Eingangsstufe wird durch einen Serienwiderstand von 10 kOhm geschützt. C1 verhindert HF-Einstrahlungen, C2 blockt
Gleichspannungen ab. Mit R3 und R5 ist eine Serien-Rückkopplung realisiert, die die Gesamtverstärkung begrenzt und
stabilisiert.
Mit einer einstellbaren Serien-Rückkopplung arbeitet auch die zweite Stufe, deren Verstärkung bzw.
Dämpfung sich in einem weiten Bereich einstellen lässt. Wird mit dem Schalter das Dioden-Netzwerg parallel zum
Rückkopplungswiderstand gelegt, stellen sich erhebliche Verzerrungen ein - braucht Lukas für den richtigen
Hardrock-Sound. (Natürlich könnte man auch eine Röhre übersteuern, um den ganz richtigen
Röhrensound zu erzeugen. Aber dazu müsste man mindestens noch eine weitere Röhrenstufe haben und die enorm
hohe Signalspannung anschließend wieder runterteilen.)
Für das Dioden-Netzwerk habe ich nach einigen Hörversuchen zwei Zenerdioden mit unterschiedlicher Spannung genommen,
weil sich durch die Asymmetrie ein stärker von geradzahligen Komponenten dominiertes Klirrspektrum mit einem
gefälligeren Sound einstellt. Es funktionieren aber auch zwei gegeneinander geschaltete LEDs sehr gut.
Die Verstärkungsreserve ist ausreichend hoch, um ein passives Klangregelnetzwerk betreiben zu können. Das
spart eine Röhrenstufe und Platz. Der simple Klangregler ist vom "Big Muff" Typ, was man wohl ungefähr
mit "Dickes Flanschstück" übersetzen könnte. Big Muff Pi von Electro Harmonix war eines der
ersten und erfolgreichsten Soundeffekt-Pedale für E-Gitarristen und wurde wegen seines "cremigen" Sounds von
zahllosen Musikern, darunter Hendrix und Santana eingesetzt.
Big Muff hat 30 Jahre lang den Sound der Rock-Gitarre definiert. Dabei ist die
Schaltung gar nicht besonders
kompliziert.
Eine ausführliche und sehr gute Beschreibung der Schaltung findet sich bei
http://www.muzique.com/lab/tone3.htm.
Weitere Hinweise zu Klangregler-Schaltungen für Gitarristen gibt es unter
amps.zugster.net.
Uns geht es hier nur um den Tone-Regler. Im Prinzip handelt es sich um die Kombination je eines passiven Hoch- und Tiefpasses,
zwischen denen ein Poti angeordnet ist. Für Hifi ist eine Klangregelung à la Big Muff weniger geeignet, da sich bei der
Originalbeschaltung (4 nF und 10 nF) eine deutliche Senke mit Mitteltonbereich einstellt - für den Gitarrensound
ist das aber gerade angenehm. Wer will, kann mit den Kondensator- und Widerstandswerten experimentieren: Die Senke im
Mitteltonbereich wird um so breiter und tiefer, je weiter die beiden Kapazitätswerte auseinander liegen. Bei gleichen
Werten kann man die Senke sogar völlig zum Verschwinden
bringen.
In jedem Fall kostet der passive Klangregler aber Verstärkung, die bei der Planung des Verstärkers als Reserve
berücksichtigt werden muss. Ich habe Big Muff hier ausgewählt, weil ich die Schaltung schon immer mal ausprobieren
wollte und weil man ein Lautstärkepoti auf einfache Weise direkt hinter das Klangregelnetzwerg schalten kann.
Das spart eine Verstärker- oder Pufferstufe und macht die Gesamtschaltung übersichtlich.
Es folgt die bereits angesprochene lineare Triodenstufe aus einer Hälfte einer 6N3P und ein nachgeschalteter
Kathodenfolger für die niederohmige Ansteuerung der MOSFET-Ausgangsstufe.
Damit man bei Bedarf das Signal für die Aufnahme über ein Mischpult oder zum Anschluss eines weiteren
Verstärkers abnehmen kann, wird es am Ausgang heruntergeteilt und über eine zweite Klinkenbuchse ausgekoppelt.
Die gesamte Schaltung ist auf einer 250 x 100 Millimeter großen Platine aufgebaut, die auch die drei Potis
und die beiden Klinkenbuchsen trägt. Als Potis habe ich wieder preisgünstige Stereotypen verwendet, deren
Widerstandsbahnen und Schleifer für mehr mechanische und elektrische Stabilität parallel geschaltet sind.
Die Platine braucht zur Versorgung rund 220 bis 250 Volt; der Strom ist mit 10 Milliampere sehr gering. Die Heizungen werden
mit 6.3 Volt bei rund 700 Milliampere versorgt.
Wie sich herausgestellt hat, ist die Schaltung in der so aufgebauten Form erfreulich unanfällig für Brumm.
Foto 4 zeigt einen Ausschnitt aus der fertig aufgebauten und betriebsbereiten Verstärkerplatine. Der modulare Aufbau
ist gut zu erkennen.
Nachdem alles lief, habe ich noch einige Tests in die Entscheidung investiert, wie die "richtigen" Verzerrungen
produziert werden sollen. Eine weitere Verstärkerstufe wollte ich dafür nicht installieren, statt dessen sollte
eine nichtlineare Rückkopplung für den rockigen Sound sorgen. Dazu gibt es eine Vielzahl von
Schaltungsvorschlägen; geprüft habe ich
1. zwei antiparallel geschaltete LEDs (eine grüne und eine rote), die das Signal ziemlich symmetrisch begrenzen,
2. zwei in Serie geschaltete Dioden, die das Signal nur einseitig begrenzen und das Verhalten einer übersteuerten
Single-Ended-Endstufe simulieren und
3. zwei gegeneinander in Serie geschaltete Zenerdioden mit unterschiedlichen Spannungen (5,6 V und 2,7 V), die für eine
asymmetrische Begrenzung des Signals sorgen.
Diagramm 2 zeigt das Klirrspektrum der beiden antiparallel geschalteten LEDs im Rückkopplungsnetzwerk der zweiten
Verstärkerstufe: Die geradzahligen Verzerrungen 2., 4. und 6. Ordnung sind mit -56 dB, -58 dB und -62 dB stark
unterdrückt, dafür treten die ungeradzahligen Verzerrungen K3, K5 und auch noch K9 und K11, denen man einen harten
Sound nachsagt, sehr stark in Erscheinung (-21 dB, -38 dB).
Wer einen besondern harten Sound wünscht, mag damit gut bedient sein - ich habe die etwas angenehmeren "warmen"
Obertöne doch etwas vermisst (wenn Lukas übt, muss ich das im Wohnzimmer ertragen können) ...
Diagramm 3 zeigt das andere Extrem: Hier treten vor allem K2 und K4 mit -15 dB und -36 dB auf. Insbesondere K3 ist mit -40
dB stark bedämpft, K5 weist nur noch -50 dB auf. Das verursacht auch im Übersteuerungsfall einen eher warmen
"bluesigen" Sound. Lukas fand diesen Sound übertrieben altmeisterlich und ohne rechten "crunch".
Also musste ein Kompromiß her.
Diagramm 4 zeigt das Klirrspektrum zweier gegeneinander in Serie geschalteter Zenerdioden mit 5,6 V und 2,7 V, die
bei niedrigem Signalpegel zu einseitigem, bei höherem Signalpegel zu stark asymmetrischem Clipping des Signals
führen. Insgesamt verursachen die beiden Zenerdioden einausgewogenes Klirrspektrum mit gleichmäßig abfallenden
Klirrprodukten. Insgesamt überwiegen aber noch die warmen Komponenten etwas. Das ist die Lösung, für die sich
Lukas am Ende entschieden hat. Der Sound lässt sich wegen des asymmetrischen Verhaltens mit Hilfe des Gain-Reglers in
weiten Grenzen variieren. Ein Schalter dient dazu, dass Verzerrer- oder Sustain-Netzwerk zu aktivieren oder für einen
"cleanen" Sound aus dem Rückkoppelpfad zu nehmen.
Das ist nun die endültige Lösung, die in den fertigen Verstärker eingebaut wird.
Michael Gaedtke