MUllER
Classic
von
Marc A. Müller
Plochingen, im Frühjahr 2007



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Marc A. Müller / marc.alexander.mueller(at)gmx.de


Das Konzept
Der Classic vereint die neben dem JTM45 wohl legendärsten beiden Marshall Topteile in einem Verstärker:
Den 1959 als ersten und den 2203 als zweiten Kanal, die unabhängig voneinander aufgebaut sind und erst in der FX-Loop zusammen kommen.
Mit dem 1959/JMP-Kanal ist kein reiner Clean-Kanal vorhanden, da dieser mit einer Strat ab ca. 14 Uhr, mit einer LesPaul jedoch bereits ab ca. 10 Uhr am Gainpoti das Verzerren anfängt. Allerdings war es nie Ziel, einen Fender-Clean zu erreichen, sondern stets einen rotzigen Marshall-Sound.
Die beliebteste Änderung von Gitarristen war und ist wohl das oft als One-Wire-Mod betitelte verbinden der beiden Eingangskanäle des 1959 mit einem Patchkabel. Im Classic habe ich das mit einem Mini-Switch realisiert, der beide Kanäle vor dem Gain-Poti koppelt. Stets aktiv ist dabei der Bright-Kanal, der Normal-Kanal kann für mehr Wärme zugeschalten werden.
Der 2203-Kanal ist nicht in der Urversion umgesetzt, sondern für mehr Druck und Verzerrung in einer leicht modifizierten Version. So habe ich unter anderem die berühmten 10k Ohm der zweiten Kathode gegen die von vielen als Sweet-Spot empfundene 5,1k Ohm getauscht. Mehrere kleinere Modifikation bringen einen etwas offeneren Sound ohne die oft als schrill empfundenen Höhen des 800er. Diese können jedoch über einen kleinen Bright-Schalter wieder zurückgeholt werden. Ein weiterer Miniswitch bringt hierzu etwas mehr Wärme und Druck in den Bässen. Mit beiden Voicings zusammen lässt sich so ein leichter Mid-Scooped-Effekt erreichen.
Früher wurden diese Amps oft mit dem berühmten Tube-Screamer TS808 oder ähnlichen Treblebooster angeblasen, um so den Gain-Pegel nochmals ordentlich anzuheben. Im Classic habe ich daher auf der Rückseite bereits einen reinen Röhren-Booster integriert.
Zwischen den Vorstufen und der Endstufe ist ein paralleler und regelbarer klangneutraler Effektweg integriert. Wird kein Effekt benötigt, so kann dieser auch als zweite Mastervolume verwendet werden.
Die Endstufe schließlich basiert wieder auf dem JCM800/2203, bietet jedoch die Möglichkeit zwei Röhren ab-, sowie von Pentoden- auf Triodenbetrieb umzuschalten. Mit der Sweet/Punch-Schaltung kann von der herkömmlichen ClassAB mit fixed Bias auf Autobias mit Kathodenwiderständen umgeschaltet werden, was dem Klang noch mal deutlich mehr Wärme gibt.

Die Masseführung und die Leiterplatten
Der Classic kommt wie bei den Vorbildern aus den 70er und 80er Jahren ohne Leiterplatten aus, sondern ist vollständig auf Eyelet-Boards aufgebaut. Halbleiter werden hierbei lediglich für das Netzteil, die Relais-Ansteuerung und die Stummschaltung der Kanäle verwendet.
Das Chassis ist aus 2mm dickem gebürstetem und eloxiertem Aluminium gebaut, was zwar eine geringer Abschirmwirkung bringt, jedoch als Masseleiter einen etwas besseren Leitwert.
Für einen brummfreien Aufbau sind die Massen jeweils einer Vorstufenröhre zusammengefasst und direkt am jeweiligen Sockel mit dem Chassis verbunden. Die Rückleitung zum zentralen Massepunkt am Netzteil erfolgt hierbei durch das Chassis. Durch die linearen Anordnung der in Summe neun Massepunkte entstehen keine Brummschleifen und der Verstärker ist absolut ruhig.
Hierzu trägt natürlich auch die (ungeregelte) DC-Heizung der Booster-Röhre sowie der jeweils ersten Röhren der beiden Kanalzüge bei. Die restlichen Röhren sind AC-geheizt, wobei das Referenzpotential auf ca. 45V hochgelegt ist.
 
Die Bauteile
Um das Optimum an Sound herauszuholen und den Vintage-Charakter zu wahren habe ich diese Bauteile eingesetzt:

Kondensatoren
Nach Versuchen mit Wima MKP10, Mallory150 und OrangeDrops habe ich mich schlussendlich für Mustard-Replikas von TubeAmpDocotor (TAD) entschieden.
Die WIMAs produzieren ein sehr ehrliches und trockenes, ja beinahe analytisches, Klangbild das sehr gut zu einem modernen Gitarrenverstärker passt. Peter Diezel setzt sie u.a. in seinem Herbert ein. Für eine Reminiszenz an die 70er und 80er Jahre sind sie jedoch nicht warm genug. Generell ist es jedoch sehr schwer mit Schrift und Sprache die Klangunterschiede zu beschreiben, da auch jeder anders empfindet und hört.
Orange Drops gehen meiner Meinung nach in die Richtung der WIMAs, sind dabei aber weniger analytisch, etwas wärmer ohne jedoch matschig zu werden.
Die Mallorys150 sind eine sehr gute Alternative für Vintage-Amps, sie bringen den warmen Vintage-Sound in aller Rauheit sehr schön rüber, sind jedoch in den Bässen etwas undefinierter als die ODs.
Bei den TAD Mustard-Replikas fällt als erstes die Größe auf, die deutlich über den Mallorys liegt. Der Klang wird sehr warm, vergleichbar zu den Mallorys, allerdings mit einer deutlich besseren Abbildung der Bässe. Im Classic sind sie meiner Meinung nach perfekt aufgehoben. Es muss jedoch gesagt sein, dass sie in den ersten Spielstunden deutlich weicher werden, wobei anfangs die Höhen doch noch recht spröde klingen. Auch im eingespielten Zustand bekommen entfalten sie ihre Möglichkeiten erst nach einer gewissen Aufwärmzeit des Verstärkers.
 
Trafos
Alle drei Trafos habe ich bei Fa. Shinrock bezogen. Der Ausgangsübertrager ist der Nachbau des Dagnall C1998 JPM-100 Übertragers. Die Trafos sind mit viel Liebe zum Detail und nach den
Originalspezifikationen gefertigt. So ist der Übertrager nicht auf den heutigen Plastikspulenkörpern gewickelt, sondern auf den damals üblichen aus Nomex® Material. Auch das Kernmaterial entspricht den damaligen Spezifikationen. Der Trafo bringt letztendlich den typischen Marshall-Sound perfekt an die Box und ist v.a. durch die hochwertige Verarbeitung eine perfekte Alternative zu den gängigen Herstellern aus deutschen Landen, ein aufwändiger Import aus dem Ausland entfällt dabei.
Der Netztrafo basiert auf dem des JCM800/2203, hat allerdings eine Heizungswicklung mehr um Vor- und Endstufenheizung zu trennen und ist für die höhere Belastung durch die sieben Vorstufenröhren ausgelegt. Der Trafo ist riesig, alleine das Blechpaket ist 6,5cm dick! Er liefert seine Spannungen dabei völlig unauffällig, absolut brummfrei sowie ohne nennenswerte Erwärmung. Die oftmals kritischen Heizspannungen liegen bei der vorgegebenen Last bei 6,28 bzw. 6,25V.
Über die Drossel lässt sich nicht viel schreiben, außer dass sie im Vergleich zum Netztrafo winzig ist und ebenfalls ihre Aufgabe völlig unauffällig erledigt. Gegenüber den üblichen Hammond-Drossel macht sie optisch schon viel mehr her, da letztere schwarze Endkappen hat und am Schluss komplett lackiert werden. Die Shinrock-Trafos dagegen sind vor der Montage der Endkappen mit Harz (Netztransformator) oder mit Mineralwachs (Übertrager und Drossel) vakuumgetränkt , was optisch einen deutlich besseren Eindruck macht.
Die Lieferung ist durch die Sonderanfertigung des Netztrafos nicht direkt aus einer Vorproduktion möglich, denn Ausgangsübertrager und Drossel sind Standardteile, die Ingo auch mal auf Lager hat.
Die Lieferzeit von vier Wochen ist für dieses Set absolut in Ordnung und es hat sich im Endeffekt als die perfekte Kombination für den Classic herausgestellt.
 
Röhren
In der Vorstufe arbeiten China-TT12AX7 von TubeTown, im Phaseninverter als balanced Version. Diese Röhren bringen einen sehr offenen und hellen Klang bei sehr definierten Bässen und recht hoher Verstärkung. Eine reine TT-Bestückung wäre sicherlich für diesen Amp nicht angebracht und eher in der Metal-Ecke zu sehen.
Sowohl im Booster als auch in den ersten Röhren der beiden Kanalzüge habe ich GE 5751 JAN (NOS Military Variante) eingesetzt. Diese haben lediglich 70% Verstärkung der ECC83 und bringen unheimlich Wärme und ein "saftiges" Klangbild. Klingen diese meiner Meinung nach mit JJ oder EH Röhren zu brav ist die Kombination mit den aggressiveren TT-Röhren für einen rauen aber dennoch zivilisierten Marshall-Sound sehr gut.

Widerstände
Der Classic ist weitestgehend mit Metallfilm-Widerständen aufgebaut, im 2203-Kanal habe ich an den Anoden jedoch Kohlepress-Typen verwendet, da diese einen etwas wärmeren Sound mit sich bringen. Ein Verwendung an anderen Stellen brachte keine klanglichen Veränderungen mit sich. Ein erhöhtes Rauschen war ebenfalls nicht feststellbar.

Der gesamte, mit 50 Seiten sehr ausführlich bebilderte und beschriebene Aufbau befindet sich in diesem PDF (ca. 8,5 MB)

Das Schaltbild (PDF, ca. 55 kB)

Viele Grüße,
Marc Müller