d) Rauschverhalten des RIAA-Entzerrer-Vorverstärkers.


Eine wichtige Eigenschaft und Kenngröße des RIAA-Entzerrer-Vorverstärkers ist das erzielbare Signal/Rausch-Verhältnis. Zweckmäßigerweise schätzt man diese Größe so genau wie möglich ab, bevor der Verstärker wirklich aufgebaut wird. So geht man einigermaßen sicher, daß die vorgesehene Schaltung auch das Erwartete leistet und die erzielbaren Werte nicht schlechter sind als die geforderten.


Dies hilft dann z.B. auch bei der Entscheidung, ob es noch sinnvoll ist, einen Vorverstärker für MC-Tonabnehmersysteme mit Röhren zu bestücken oder wegen des besseren Rauschverhaltens zumindest in der Eingangsstufe ein Halbleiter-Verstärkerelement zu benutzen. Im vorliegenden Fall war der Vorverstärker nur für MM-Systeme auszulegen, die wegen ihrer um etwa 20 dB höheren Ausgangsspannung etwas unkritischer sind. Aber auch hier kann man durch eine vorangehende Rechnung besser beurteilen, wie groß der Einfluß der verschiedenen Rauschquellen im Verstärkereingang im Verhältnis zueinander ist. Nur so lassen sich Optimierungsmaßnahmen gezielt vornehmen. (Wer einmal gelernt hat, mit Rauschgrößen umzugehen, findet dann auch die im Grunde elementaren wenn auch manchmal recht umständlichen Rechnungen nicht mehr so abschreckend.)


Im allgemeinen genügt es, die Rauschquellen im Eingangkreis zu betrachten. Alle nachfolgenden Stufen rauschen zwar ebenfalls in etwa gleichem Maße, ihr Beitrag zum Gesamtrauschen am Ausgang der Schaltung steht aber in Konkurrenz zum bereits verstärkten Rauschen der ersten Stufe und ist deshalb in der Regel vernachlässigbar. Wenn nachfolgende Verstärkerstufen innerhalb einer Gegenkopplungsschleife liegen, wird ihr Rauschen außerdem durch die Wirkung der Gegenkopplung reduziert.


Bild 1. zeigt ein Ersatzschaltbild aller Bauelemente im Verstärkereingang wie es für die Rauschberechnungen zweckmäßig ist.



                         
Bild 1.


Als Rauschquellen werden alle ohmschen Widerstände im Eingangskreis berücksichtigt sowie das Eigenrauschen der Röhre bezogen auf das Gitter.

Das Tonabnehmersystem, im gestrichelten Kasten links, wird hier repräsentiert durch die Reihenschaltung des ohmschen Widerstandes Rg der Wicklungen und der als verlustlos angesehenen Induktivität L dieser Wicklungen. Die Rauschspannung des Widerstands Rg wird durch eine in Serie dazu liegende Rauschspannungsquelle Urg nachgebildet, das Tonsignal durch die Signalquelle Usig. In der numerischen Rechnung werden als Beispiel für ein typisches MM-System die Werte eines älteren Shure V15/3-Systems eingesetzt, die gerade zur Verfügung standen. Andere MM-Systeme unterscheiden sich in diesen Daten meist nicht wesentlich vom V15/3.


Der von den Herstellern empfohlene Abschlußwiderstand für MM-Tonabnehmersysteme von 47 kOhm wird ebenfalls simuliert durch einen rauschfreien 47k-Widerstand Re und eine in Serie liegende Rauschspannungsquelle Ure, desgleichen der unüberbrückte Kathodenwiderstand. Für alle Rauschspannungsquellen wird angenommen, daß sie eine Rauschspannung in der Höhe des jeweils von ihnen repräsentierten Widerstandsrauschens abgeben und selbst den Innenwiderstand Null haben. Das auf den Eingang bezogene Röhrenrauschen wird von der Rauschquelle Urr erzeugt.


Wie am Ersatzschaltbild zu sehen, liegt die Rauschspannung Urg nicht direkt am Gitter der Eingangsröhre. Man kann den Widerstand Rg  und die Induktivität L zusammenfassen zu der frequenzabhängigen Impedanz Zg des Tonabnehmers mit


, wobei , f = Frequenz.


Zg und Re  bilden dann einen frequenzabhängigen Spannungsteiler, der nur den Bruchteil

der Rauschspannung Urg am Gitter wirksam werden läßt. (Die in Serie zu Re liegende Rauschspannungsquelle Ure kann für die Betrachtung des Rauschens von Urg außer Acht gelassen werden. Da sie, wie oben vorausgesetzt, den Innenwiderstand Null hat, verhält sie sich bezüglich der Rauschspannung Urg einfach wie ein Widerstand mit Null Ohm.)

Ähnliches gilt für die Rauschspannung Ure.  Auch hier bilden Re und Zg einen Spannungsteiler, wobei aber jetzt Zg auf der Masseseite liegt. Hier wird entsprechend der ebenfalls frequenzabhängige Anteil

am Gitter wirksam.

(Es ist übrigens gleichgültig, auf welcher Seite eines Widerstandes die Rauschspannungsquelle eingezeichnet wird. Das Spannungsteilerverhältnis für die Rauschspannung am Gitter bleibt das gleiche.)

 

Streng genommen liegt auch die von der Röhre selbst erzeugte Rauschspannung Urr in diesem Ersatzschaltbild nicht direkt sondern über die Parallelschaltung von Zg und Re zwischen Gitter und Kathode. Die Impedanz dieser Parallelschaltung ist jedoch vernachlässigbar gegenüber dem hohen Eingangswiderstand der Röhre. Urr  ist deshalb voll wirksam.

Man kann die Röhre als Differenzverstärker mit einem Minus-Eingang (Gitter) und einem Plus-Eingang (Kathode) betrachten. Die Rauschspannung Urk liegt damit über den Kathodenwiderstand Rk  am Plus-Eingang und addiert sich zur Summe der Rauschspannungen am Gitter. Wegen des vergleichsweise niedrigen Eingangswiderstandes an der Kathode (Größenordnung: 1/Steilheit) wird von Urk aber nur etwa die Hälfte wirksam.


Mit diesen Vorbereitungen läßt sich jetzt die gesamte Rauschspannung am Eingang und das Signal/Rauschverhältnis am Ausgang berechnen.

Dazu sind die Beiträge der einzelnen Rauschquellen am Gitter bzw. der Kathode der Eingangsröhre zunächst einzeln zu berechnen und dann zu summieren. Da die verschiedenen Rauschspannungen untereinander nicht korreliert sind, kann man ihre Effektivspannungs-Werte nicht einfach addieren. Es müssen die ihnen entsprechenden Rauschleistungen addiert und aus der Summe wieder die entsprechende Effektiv-Spannung berechnet werden. Dies ist gleichbedeutend damit, daß zunächst die Quadrate der Rauschspannungen addiert werden und dann die Wurzel aus der Summe gezogen wird (rms-Addition).

Alle Rauschbeiträge haben allerdings, wie oben dargestellt, einen unterschiedlichen Frequenzgang. Für das am Ausgang des Entzerrerverstärkers wirksame Signal/Rauschverhältnis muß zusätzlich der Frequenzgang der RIAA-Entzerrung und gegebenenfalls eine Bewertungskurve für die gehörrichtige Korrektur der Rauschwahrnehmung berücksichtigt werden. Es ist in der Praxis wenig sinnvoll, das Ganze in einer geschlossenen Formel darzustellen. Am einfachsten bemüht man hier ein Tabellenkalkulations-Blatt, in dem die einzelnen Rechenschritte übersichtlich zeilenweise abgearbeitet werden. Die Frequenzabhängigkeiten können dann berücksichtigt werden, indem der gesamte Audio-Bereich in einzelne Frequenzbänder aufgeteilt wird, für die die Rechnung dann jeweils getrennt durchgeführt wird. Am Schluß der Berechnung muß dann nicht nur über die verschiedenen Rauschquellen, sondern auch über alle Frequenzbänder summiert werden.
(Klingt jetzt alles komplizierter, als es tatsächlich ist.)


Hier soll nur das Ergebnis der Rechnung dargestellt werden. Wer sich für die einzelnen Rechenschritte interessiert findet eine Beschreibung des verwendeten Tabellenkalkulations-Blattes hier. Das Blatt selbst ist unter v15_sw.xls abrufbar. (Es sollte eine Tabellenkalkulation installiert sein, die Blätter im xls-Format darstellen kann und mit diesem Format verknüpft ist.)


Wie man den Ergebnissen der letzten Rechenschritte (22+23) entnehmen kann, lassen sich die in
(2) geforderten Signal/Rauschabstände bei Verwendung eines MM-Tonabnehmers auch mit Röhrenverstärkern sicher erreichen.

Interessant ist es, den Beitrag der verschiedenen Rauschquellen zum Gesamtrauschen zu verfolgen. Wie man an den Ergebnissen der Rechenschritte 11...14 sieht, dominiert am Eingangsgitter das 47k-Widerstandsrauschen. Das auf den Eingang bezogene Eigenrauschen der Röhre ist demgegenüber fast um die Hälfte niedriger. Das Eigenrauschen des Tonabnehmersystems und des Kathodenwiderstands ist im Vergleich dazu vernachlässigbar, wenn man berücksichtigt, daß hier eigentlich die Leistungen verglichen werden müssen.

Die Rauschquellen haben allerdings sehr unterschiedliche Frequenzgänge. Das Röhrenrauschen enthält starke tieffrequente Anteile, während durch den Anschluß des Tonabnehmers von dem eigentlich frequenzunabhängigen 47k-Widerstandsrauschen vorwiegend die hochfrequenten Anteile am Gitter wirksam werden. Durch die ebenfalls stark frequenzabhängige Verstärkung des Entzerrerverstärkers kehren sich die Verhältnisse am Verstärkerausgang um. Am Ausgang des Verstärkers überwiegt jetzt das Röhrenrauschen, dessen ohnehin starke niederfrequente Anteile durch die RIAA-Entzerrung noch einmal stark angehoben werden, während das vorwiegend hochfrequente Rauschen des 47k-Widerstands relativ dazu abgesenkt wird (s. grünumrandeter Zellenbereich).

Das Ohr allerdings ist für niederfrequentes Rauschen weniger empfindlich als für hochfrequentes. Berücksichtigt man diese Verhältnisse durch Bewertung des Verstärkerausgangsrauschens mit der A-Bewertungskurve, so werden die (subjektiv empfundenen) Anteile von Röhren- und Widerstandsrauschen annähernd gleich (s. grünumrandeter Zellenbereich, unterer Teil).

Für den Bau eines Entzerrer-Verstärkers mit Röhren ergibt sich daraus, daß es keinen großen Gewinn bringt, nach noch rauschärmeren Röhren als den hier verwendeten ECC83 zu suchen. Das 47k-Widerstandsrauschen setzt hier eine in der Praxis nicht zu unterschreitende Grenze. Angesichts der großen Exemplarstreuungen bei Röhren ist es allerdings sinnvoll, Exemplare mit günstigen Rauscheigenschaften auszusuchen, wenn mehrere zur Verfügung stehen.

Bei Messungen des Signal/Rauschabstandes ist es wichtig, den Eingang mit dem tatsächlich verwendeten Tonabnehmersystem abzuschließen. Ein Ersatz des Tonabnehmersystems durch einen 1k-Widerstand, oft Grundlage der bei kommerziellen Verstärkern angegebenen technischen Daten, führt zu unrealistisch guten Signal/Rauschabständen.

Gemessen wurde ein Signal/Rauschabstand von 72 dB bezogen auf nominelle Vollaussteuerung der Schallplattenrille bei 1 kHz und der in der Tabelle angegebenen Empfindlichkeit des Tonabnehmers. Die Messung erfolgte allerdings nicht unter den Umständen, die der Rechnung zugrunde lagen. Die Rechnung schneidet alle Rauschanteile unterhalb 25 Hz und oberhalb 12.8 kHz scharf ab. Bei der Messung war das nur näherungsweise möglich. Auch entsprachen die Eigenschaften des vorhandenen MM-Tonabnehmersystems nicht genau den in der Rechnung verwendeten. Berücksichtigt man diese Abweichungen, so ergibt sich etwa der gleiche Wert für den Signal/Rauschabstand wie in der Rechnung. (s.a. Fußnote 8-5.)

Da in der Rechnung die gemessenen Eigenschaften der tatsächlich eingesetzten Röhren verwendet wurden, ist diese Übereinstimmung ist nicht weiter überraschend. Sie zeigt aber, daß meßbare Eigenschaften des Entzerrer-Verstärkers mit guter Genauigkeit rechnerisch vorhergesagt werden können.

Ein bewerteter Signal/Rauschabstand konnte mangels A-Bewertungsfilters nicht gemessen werden.

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